Bauliche Veränderungen zur Barrierereduzierung
Geringere Hürden für Wohnungseigentümer
Real Estate Praxistipp vom 20.02.2024 - BGH, Urteile vom 09.02.2024, V ZR 244/22 und V ZR 33/23
Seit dem 01.12.2020 kann jeder Wohnungseigentümer verlangen, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft durch Beschluss angemessenen baulichen Veränderungen auch des gemeinschaftlichen Eigentums zustimmt, wenn diese Maßnahmen dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dienen (§ 13 Abs. 2, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG). Ein Ermessensspielraum der Wohnungseigentümergemeinschaft besteht nur hinsichtlich des „Wie“ der Durchführung. Die Kosten dieser Maßnahmen hat der sie verlangende und zu ihrer alleinigen Nutzung berechtigte Wohnungseigentümer allein zu tragen (§ 21 Abs. 1 WEG). Unzulässig bleiben bauliche Veränderungen, die die Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen (§ 20 Abs. 4 WEG). Welche Maßnahmen einem Wohnungseigentümer hiernach zu gestatten sind, ist im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden. Die ersten Entscheidungen des BGH dazu lassen deutlich seine Tendenz erkennen, derartige Maßnahmen zu fördern.
Die Fälle:
Im Fall (V ZR 244/22) sind die körperlich nicht behinderten Kläger Eigentümer von zwei Wohnungen im Rückgebäude einer aus zwei Gebäuden im Jugendstil bestehenden denkmalgeschützten Anlage. Ihr Antrag, ihnen auf eigene Kosten die Errichtung eines Außenaufzugs am Rückgebäude als Zugang für Menschen mit Behinderungen zu gestatten, wird von der Eigentümergemeinschaft abgelehnt. Im Verfahren V ZR 33/23 wird einer Wohnungseigentümerin durch Beschluss der Eigentümerversammlung gestattet, auf der Rückseite des Gebäudes eine Rampe als barrierefreien Zugang, eine zur ebenerdigen Verbindung mit ihrer Wohnung aufzuschüttende Terrasse und ggf. einen gepflasterten Zugang von Hauseingang zur Terrasse zu errichten. Die Kläger fechten diesen Beschluss an. In beiden Fällen bejaht der BGH den Anspruch auf die gewünschten baulichen Veränderungen aus folgenden Erwägungen:
Die Angemessenheit einer baulichen Veränderung, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dient, ist nur ausnahmsweise zu verneinen, wenn mit der Maßnahme Nachteile verbunden sind, die über die Folgen hinausgehen, die typischerweise mit der Durchführung einer privilegierten baulichen Veränderung einhergehen. Eingriffe in die Bausubstanz, übliche Nutzungseinschränkungen des Gemeinschaftseigentums und optische Veränderungen der Anlage etwa aufgrund von Anbauten können die Unangemessenheit daher regelmäßig nicht begründen.
Zwar trägt die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Umstände der Angemessenheit einer baulichen Veränderung der die verlangende Wohnungseigentümer. Da der Gesetzgeber aber die Angemessenheit als Regel ansieht, obliegt der Wohnungseigentümergemeinschaft die Darlegung, warum ein atypischer Fall vorliegt.
Bei einer Maßnahme, die der Verwirklichung eines Zweckes i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG dient, ist eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage zumindest typischerweise nicht anzunehmen. Der von dem Gesetzgeber im gesamtgesellschaftlichen Interesse erstrebten Privilegierung bestimmter Kategorien von Maßnahmen - unter anderem zur Förderung der Barrierefreiheit - ist bei der Prüfung, ob eine grundlegende Umgestaltung vorliegt, im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses Rechnung zu tragen. Nur außergewöhnliche Umstände können eine Ausnahme von der Regel begründen.
In den Grenzen des § 20 Abs. 4 WEG können die Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung auch dann mit einfacher Stimmenmehrheit wirksam beschließen, wenn sie die in § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG geregelten Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen nicht als gegeben ansehen oder Zweifel hieran hegen.
PSP-Praxistipps:
Die Wohnungseigentümer haben über die Art und Weise der Durchführung im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu entscheiden. Außerhalb der seltenen Fälle einer „Ermessensreduzierung auf Null“ besteht kein Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der baulichen Veränderung (BT-Drs. 19/18791, 65), etwa auf die günstigste oder subjektiv schönste Maßnahme. Der Wohnungseigentümer kann auch nicht mit dem Ziel seiner eigenen Entlastung die Durchführung durch die Gemeinschaft verlangen. Durch enge Vorgaben oder eine besonders kostenintensive Gestaltung darf der Gestattungsanspruch aber auch nicht ausgehöhlt werden.
Auch Mietern steht (vertraglich nicht ausschließbar) ein Anspruch auf Gestattung baulicher Veränderungen der Mietsache zur Barrierereduzierung gegen Vermieter zu (§§ 554, 578 Abs. 1 BGB). Dies gilt jedoch nicht, wenn die bauliche Veränderung dem Vermieter auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Mieters nicht zumutbar ist. Wenn der Vermieter seinerseits alles getan hat, um die Gestattung durch die Eigentümergemeinschaft zu erlangen, überwiegt sein Interesse, solange diese Gestattung nicht vorliegt.