Update – Wegzug in die Schweiz: Steuerliche Hindernisse behoben?!

BMF setzt EuGH-Urteil vom 26.02.2019 nur unzureichend um – Weiter Ungewissheit bei Wegzug in die Schweiz

Der EuGH hat mit Urteil vom 26.02.2019 (C-581/17, Rs. Wächtler) entschieden, dass die deutschen Regelungen zur Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG), nach denen bei einer Wohnsitzverlegung ins Ausland die stillen Reserven in Kapitalgesellschaftsbeteiligungen sofort zu versteuern sind, im Verhältnis zur Schweiz eine ungerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen. Mit dem am 13.11.2019 veröffentlichten Schreiben nimmt das Bundesfinanzministerium nun zur verwaltungsseitigen Anwendung der Entscheidung Stellung. Das nachfolgende Update des Beitrags vom 28.02.2019 zeigt auf, dass die von der Finanzverwaltung vorgesehenen Regelungen das Urteil des EuGH nur unzureichend umsetzen. Für inländische Steuerpflichtige mit Kapitalgesellschaftsanteilen, die ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegen wollen, verbleibt damit (weiterhin) eine erhebliche Ungewissheit.

Mit Schreiben vom 13.11.2019 hat das Bundesfinanzministerium (BMF) zur verwaltungsseitigen Anwendung des EuGH-Urteils vom 26.02.2019 betreffend der deutschen Regelungen zur Wegzugsbesteuerung im Verhältnis zur Schweiz Stellung genommen. Danach soll § 6 AStG bei einem Wegzug in die Schweiz – bis zur einer gesetzlichen Neuregelung – wie folgt angewendet werden:

Abweichend von der gesetzlichen Regelung ist, auf Antrag des Steuerpflichtigen, eine Stundung

  • in fünf gleichen Jahresraten vorzunehmen, die nach § 234 AO zu verzinsen sind; d.h. die fällige Wegzugsteuer ist in fünf gleichen Jahresraten zu tilgen,

  • wobei es auf eine erhebliche Härte bei alsbaldiger Einziehung nicht ankommt, und

  • eine Sicherheitsleistung ist nicht erforderlich; es sei denn, der Steueranspruch erscheint gefährdet.

BMF setzt EuGH-Urteil nur unzureichend um – Stundung in Teilbeträgen unzulässig

Zwar sind die Erleichterungen im Hinblick auf die sofortige Versteuerung der durch den Wegzug ausgelösten Steuer grundsätzlich zu begrüßen. Das Urteil des EuGH wird damit jedoch nicht in vollem Umfang umgesetzt. Der EuGH führte in seinem Urteil vom 26.02.2019 aus, dass die Möglichkeit einer Zahlung der geschuldeten Steuer in Teilbeträgen nicht geeignet sei, den Liquiditätsnachteil aufzuheben, den die Verpflichtung des Steuerpflichtigen darstellt, im Zeitpunkt der Verlegung seines Wohnsitzes in die Schweiz einen Teil der für die latenten Wertzuwächse der betreffenden Gesellschaftsanteile geschuldeten Steuer zu zahlen. Weiterhin bliebe die – nunmehr vom BMF vorgesehene – Stundung mit Zahlung in Teilbeträgen für den Steuerpflichtigen kostspieliger als die Stundung der geschuldeten Steuer bis zur Veräußerung seiner Gesellschaftsanteile.

Der EuGH vertritt danach die Ansicht, dass eine Zahlung der fälligen Steuer in Raten den Steuerpflichtigen schlechter stellt als eine – für den Wegzug in das EU-/EWR-Ausland vorgesehene – Stundung bis zur Veräußerung der Anteile. Entsprechend verstoße die deutsche Regelung des § 6 AStG gerade aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Stundung bis zur Veräußerung bei einem Wegzug in die Schweiz gegen das Freizügigkeitsabkommen (FZA).

Das BMF versagt nun aber genau die vom EuGH geforderte vollständige Stundung bis zur Veräußerung der Anteile. Damit wird das EuGH-Urteil von der deutschen Finanzverwaltung nicht ausreichend umgesetzt.

Die frühere Entscheidung des EuGH in der Rechtsache „DMC“ (Urteil vom 23.01.2014 – C-164/12), in der der EuGH eine Zahlungsstreckung über fünf Jahre im damaligen Umwandlungssteuergesetz als europarechtskonform angesehen hat, sollte vorliegend nicht einschlägig sein. Dagegen spricht auch die eindeutige Positionierung des EuGH in seinem jetzigen Urteil.

Anwendungsbereich des EuGH-Urteils möglicherweise durch BMF eingeschränkt

Weiterhin soll die derzeit bestehende gesetzliche Regelung – ausweislich des BMF-Schreibens – nur in den Fällen wie vorgenannt durchbrochen werden, in denen der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I des FZA zu beachten ist. Artikel 9 des Anhangs I behandelt jedoch nur Arbeitnehmer. Die entsprechenden Regelungen für Selbständige – worunter nach der Rechtsprechung des EuGH unter Umständen auch Gesellschafter-Geschäftsführer fallen können – finden sich in Art. 15 des Anhangs I. Aus dem isolierten Verweis auf Art. 9 Abs. 2 könnte geschlossen werden, dass die vom BMF gewährten Erleichterungen nur für Arbeitnehmer, nicht jedoch für Selbständige gelten sollen. Dies wäre eine erhebliche Benachteiligung für Selbständige, die ihren Wohn- und Tätigkeitsort in die Schweiz verlegen.

Fazit

Die im BMF-Schreiben vom 13.11.2019 vorgesehenen Erleichterungen tragen dem Urteil des EuGH vom 26.02.2019 nicht ausreichend Rechnung. Die vom EuGH geforderte vollständige Stundung der Steuer bis zur tatsächlichen Veräußerung der Anteile sieht das BMF-Schreiben nicht vor; stattdessen wird lediglich eine Stundung in fünf gleichen Jahresraten gewährt. Auch bleibt offen, ob die Finanzverwaltung das Urteil auf Selbständige, die in die Schweiz verziehen, anwenden will.

Wegzug in die Schweiz: Steuerliche Hindernisse behoben?!
Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 26.02.2019, Az. C-581/17

Der EuGH hat – auf einen Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Baden-Württemberg hin – entschieden, dass die deutschen Regelungen zur Wegzugsbesteuerung, nach denen bei einer Wohnsitzverlegung ins Ausland die stillen Reserven in Kapitalgesellschaftsbeteiligungen sofort zu versteuern sind, im Verhältnis zur Schweiz eine ungerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen.

Wegzugsbesteuerung

Die deutschen Regelungen zur Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) dienen dazu, das inländische Besteuerungsrecht – im Wege einer Schlussbesteuerung – für den Fall sicherzustellen, dass ein Steuerinländer, der zu mindestens 1 % an einer (in- oder ausländischen) Kapitalgesellschaft beteiligt ist, seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt. Verzieht ein im Inland unbeschränkt Steuerpflichtiger in ein anderes Land, so weisen die von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen das Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von Gesellschaftsanteile im Regelfall dem Staat zu, in dem der veräußernde Gesellschafter ansässig ist. Damit verliert Deutschland mit dem Wegzug sein Besteuerungsrecht für solche Anteile; dies gilt auch für stille Reserven, die in der Zeit der Ansässigkeit in Deutschland entstanden sind. Diesem Verlust wirkt die Wegzugsbesteuerung entgegen. Die bis zum Wegzug entstandenen stillen Reserven sind – auch ohne tatsächliche Veräußerung der Anteile – sofort zu versteuern (fiktive Veräußerung bei Wegzug). Der Wegzügler ist damit mit Einkommensteuer zzgl. Solidaritätszuschlag (und ggfs. Kirchensteuer) belastet, ohne dass ihm entsprechende Finanzmittel zufließen. 

Verlegt ein Steuerpflichtiger, der Staatsangehöriger eines EU- oder EWR-Staates ist, jedoch seinen Wohnsitz in einen dieser Staaten, so wird die – aufgrund des Wegzugs geschuldete – Steuer nicht sofort fällig, sondern wird zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet, bis die Anteile tatsächlich veräußert werden, dem Steuerpflichtigen also finanzielle Mittel zur Begleichung der Steuer zufließen. Diese Stundung ist aufgrund der europarechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit geboten. 

Im Rahmen des nun vorliegenden Urteils musste der EuGH entscheiden, ob die Regelungen, die für einen Wegzug in einen EU- oder EWR-Staat gelten, auch analog für einen Wegzug in die Schweiz (als Drittstaat) anwendbar sind. 

Urteilssachverhalt

Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und war seit Anfang 2008 Gesellschafter-Geschäftsführer einer Gesellschaft schweizerischen Rechts, an der er zu 50 % beteiligt ist. Er übt in diesem Rahmen eine Tätigkeit im Bereich der IT‑Beratung aus. Anfang März 2011 verlegte der Kläger seinen Wohnsitz von Deutschland in die Schweiz. Entsprechend den Regelungen zur Wegzugsbesteuerung unterwarf das Finanzamt Konstanz den (bis zum Wegzug) entstandenen Wertzuwachs seines Gesellschaftsanteils der deutschen Einkommensteuer. Eine Stundung wurde nicht gewährt, da es sich bei der Schweiz weder um einen EU- noch um einen EWR-Staat handelt.

Hiergegen wehrte sich der Kläger vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg mit Verweis auf das zwischen der EU und der Schweiz geschlossene Freizügigkeitsabkommen (FZA), welches ihm eine – dem EU-Recht entsprechende – Niederlassungsfreiheit gewähre.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH stellt in seiner Entscheidung fest, dass ein deutscher Staatsangehöriger, der sein Niederlassungsrecht als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß dem FZA ausübt, bezogen auf seinen Kapitalgesellschaftsanteil einen steuerlichen Nachteil im Vergleich zu anderen deutschen Staatsangehörigen erleidet, die dieselbe Tätigkeit ausüben, ihren Wohnsitz aber weiterhin in Deutschland beibehalten. Diese müssten die Steuer für latente Wertzuwächse der betreffenden Gesellschaftsanteile erst zahlen, wenn diese Wertzuwächse durch Veräußerung realisiert werden. Derjenige, der seinen Wohnsitz verlegt, hat die fragliche Steuer für die latenten Wertzuwächse demgegenüber bereits im Zeitpunkt der Verlegung seines Wohnsitzes in die Schweiz zu zahlen, ohne einen Zahlungsaufschub bis zur Veräußerung der Anteile erhalten zu können. Die deutschen Regelungen zur Wegzugsbesteuerung wären damit geeignet, Steuerpflichtige davon abzuhalten, von dem ihnen zustehenden Niederlassungsrecht tatsächlich Gebrauch zu machen.

Auch könne die Wegzugsbesteuerung nicht aus Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden, so der EuGH weiterhin. Es sei zwar anzuerkennen, dass die Regelungen der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen Deutschland und der Schweiz der Wirksamkeit der steuerlichen Kontrollen und der Vermeidung von Steuermindereinnahmen diene. Auch die Feststellung der Wegzugssteuer der Höhe nach diene der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis. Dies alles könne jedoch nicht die Versagung einer Stundung der Steuer rechtfertigen. Denn eine Stundung bedeute nicht, dass Deutschland zugunsten der Schweiz auf seine Befugnis zur Besteuerung der Wertzuwächse verzichtet. Demnach stelle die fehlende Möglichkeit der Stundung der wegzugsbedingten Einkommensteuer eine Maßnahme dar, die über das zur Erreichung der o. g. Ziele Notwendige hinausgehe. Zudem bestünde nach deutschem Recht die Möglichkeit, die Stundung von einer Sicherheitsleistung (z. B. Verpfändung der Anteile zugunsten der Finanzverwaltung) abhängig zu machen.

Auswirkungen

Im Hinblick darauf, dass die Schweiz das Auswanderungsland Nr. 1 der Deutschen ist, ist die Entscheidung des EuGH zu begrüßen. Durch das Urteil werden die steuerlichen Hürden eines Wegzugs von natürlichen Personen in die Schweiz – zumindest in Bezug auf gehaltene Gesellschaftsanteile – deutlich reduziert, da die Wegzugsbesteuerung nicht sofort fällig wird, sondern bis zur tatsächlichen Veräußerung der Anteile gestundet wird; es findet damit eine Angleichung an die Regelungen zum Wegzug innerhalb der EU oder des EWR statt.

Offen ist derzeit noch, wie die deutsche Finanzverwaltung mit dem EuGH-Urteil umgehen wird. Möglich wäre zum einen eine gesetzliche Erweiterung der Stundungsregelungen auf die Schweiz. Zum anderen könnte den Urteilsgrundsätzen auch im Erlasswege, d. h. im Rahmen eines BMF-Schreibens, Rechnung getragen werden.

Sofern ein Wegzug in die Schweiz geplant ist oder vor Kurzem bereits erfolgte, sollte mit Hinweis auf die nun vorliegende EuGH-Entscheidung eine Stundung der festgesetzten Wegzugssteuer beim zuständigen deutschen Finanzamt beantragt werden.