Vollstreckung von Schiedssprüchen in Deutschland
Sie sind Syndikus einer US-amerikanischen Gesellschaft mit Sitz im Bundesstaat New York. Sie waren für die Überwachung eines Schiedsverfahrens verantwortlich, das sich aus einer Kooperationsvereinbarung mit einer türkischen Gegenpartei ("Beklagter") ergab, in dem Ihr Unternehmen als Kläger ("Kläger") einen Schiedsspruch erwirkte, der den Beklagten zur Zahlung von etwa 10 Millionen Euro an den Kläger verpflichtete. Der Sitz des Schiedsverfahrens befand sich in London, England.
Bisher hat sich der Beklagte entschieden, Ihre Zahlungsaufforderungen zu ignorieren. Sie wissen, dass der Beklagte über erhebliche Vermögenswerte in der Türkei, Deutschland und Frankreich verfügt. Sie möchten den Schiedsspruch in Frankreich oder Deutschland vollstrecken und erkundigen sich, wie Sie das Exequatur erlangen können, d. h. eine Erklärung eines örtlichen Gerichts, dass der Schiedsspruch in Frankreich bzw. Deutschland anerkannt und vollstreckbar ist (ein "Vollstreckungstitel").
Man rät Ihnen, sich nicht um Deutschland zu bemühen, weil Sie in Frankreich den Vollstreckungstitel ohne Anhörung des Antragsgegners erwirken könnten, während die deutschen Gerichte keinen Vollstreckungstitel ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners erlassen würden. Dies scheint Ihnen ein wichtiger Unterschied zu sein, da Sie der Meinung sind, dass es schwierig und zeitaufwändig sein könnte, dem Antragsgegner den Antrag auf Erlass eines Vollstreckungstitels zuzustellen.
Eine solche Warnung ist jedoch völlig unberechtigt. Es ist zwar richtig, dass der Beklagte gehört werden muss, bevor ein Schiedsspruch in Deutschland für vollstreckbar erklärt wird, aber das deutsche Recht sieht ein Verfahren vor, das es dem Kläger ermöglicht, einen vorläufigen Vollstreckungstitel zu erwirken, ohne dass der Beklagte gehört wird ("Vorläufiger Titel"). Ein Vorläufiger Vollstreckungstitel ermöglicht es Ihrem Mandanten, das deutsche Vermögen des Beklagten schnell zu beschlagnahmen, bevor das Exequaturverfahren eingeleitet wird. Daher ist der Schutz, den Ihr Mandant in Deutschland erhalten kann, keineswegs schlechter als in vielen anderen Ländern - und wahrscheinlich sogar besser.
Der Vollstreckungstitel
Bevor Ihre Mandantin einen Antrag auf Erlass eines Vorläufigen Vollstreckungstitels stellt, muss sie einen Antrag auf Erlass eines Vollstreckungstitels stellen.
Anträge auf Anerkennung eines ausländischen (nicht-deutschen) Schiedsspruchs sind in der Regel beim Oberlandesgericht zu stellen (OLG) in der Schiedsvereinbarung vereinbart. Wurde kein Gericht bestimmt, wird der Antrag bei dem für den Antragsgegner zuständigen Oberlandesgericht eingereicht, es sei denn, der Antragsgegner macht geltend, dass die Anerkennung oder Vollstreckung des ausländischen Schiedsspruchs gegen den deutschen oder europäischen ordre public verstoßen würde (öffentliche Ordnung) in Form des Wettbewerbsrechts (Kartellrecht), in diesem Fall würde das Oberlandesgericht mit besonderer Zuständigkeit für Wettbewerbssachen mit der Angelegenheit befasst werden. Wenn der Beklagte keinen Wohn- oder Geschäftssitz in Deutschland hat, ist das Oberlandesgericht zuständig, in dessen Bezirk sich das Vermögen des Beklagten befindet, das der Kläger pfänden will ("Vermögen"). Im letzteren Fall sollte Ihr Mandant bereit sein, Beweise anzubieten, oder zumindestprima-facie Beweise (Anscheinsbeweis), dass die Vermögenswerte vorhanden sind, wo sie sich befinden und dass sie im Besitz des Beklagten sind. Die Klageschrift kann schriftlich oder mündlich, mit oder ohne Anwalt eingereicht werden. Er muss in deutscher Sprache abgefasst sein, unabhängig von der Sprache des Schiedsverfahrens. Die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift des Schiedsspruchs ist der Klageschrift beizufügen. Eine Übersetzung des Schiedsspruchs ist nicht erforderlich, aber es ist sinnvoll, zumindest die Schiedsvereinbarung und den Tenor des Schiedsspruchs ins Deutsche übersetzen zu lassen (mit Beglaubigung), um auf etwaige Einwände des Antragsgegners vorbereitet zu sein und, was noch wichtiger ist, um dem Gericht zu ermöglichen, den Tenor des Schiedsspruchs in den Vollstreckungstitel in deutscher Sprache aufzunehmen; ohne dies könnte der Vollstreckungstitel in Deutschland nicht vollstreckt werden.
Für das Verfahren, das zum Vollstreckungstitel führt, gibt es keinen festen Zeitrahmen. Nach unserer Erfahrung können sie zwischen drei und zwölf Monaten dauern.
Der Vollstreckungstitel ist gleichbedeutend mit einem vollstreckbaren Urteil eines deutschen Gerichts.
Die Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Gerichts - ob es das Exequatur des ausländischen Schiedsspruchs erteilt oder nicht - ist das Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 7. Juni 1958 (New Yorker Übereinkommen), es sei denn, es gibt einen anderen, spezifischeren internationalen Vertrag, der Vorrang vor dem New Yorker Übereinkommen hat.
Der Vollstreckungstitel kann nur aus rechtlichen Gründen angefochten werden. Auch für das Einspruchsverfahren gibt es keinen festen Zeitrahmen. Unserer Erfahrung nach können diese leicht weitere zwölf Monate dauern.
Der Vollstreckungstitel kann auch dann vollstreckt werden, wenn er angefochten wird, ohne dass der Antragsteller eine Sicherheit leisten muss. Macht der Antragsteller jedoch von dieser Möglichkeit Gebrauch und wird das Exequatur später verweigert, ist der Antragsteller dem Antragsgegner gegenüber schadenersatzpflichtig.
In dem Vollstreckungstitel sollte auch festgelegt werden, dass der Antragsgegner eine Sicherheit leisten kann, um die Vollstreckung abzuwenden, und die Höhe dieser Sicherheit sollte festgelegt werden.
Die Kosten des Exequaturverfahrens richten sich in erster Linie nach dem Gegenstandswert, in der Regel nach der Höhe der zu vollstreckenden Forderung in Euro. Das deutsche Recht sieht Gebührenordnungen sowohl für die Gerichtsgebühren als auch für die Anwaltskosten vor. Ein Beispiel: Die Erwirkung eines Vollstreckungstitels des Oberlandesgerichts zur Vollstreckung eines Schiedsspruchs in Höhe von 10 Millionen Euro würde etwa 290.000 Euro kosten, wovon etwa 76.000 Euro auf das Gericht und jeweils etwa 100.000 Euro auf die Anwälte beider Seiten entfallen, zuzüglich Auslagen. Es steht den Parteien frei, mit ihren Anwälten höhere Honorare auszuhandeln, was in der Praxis auch häufig geschieht. Weitere (höhere) Gebühren würden anfallen, wenn gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt wird (BGH). Die unterlegene Partei muss die obsiegende Partei für alle Gerichts- und Anwaltskosten entschädigen, die nach der gesetzlichen Gebührenordnung anfallen (nicht aber für zusätzliche Anwaltskosten, die die obsiegende Partei ihren Anwälten zu zahlen bereit ist).
Ihre Mandantin sollte also einen Vollstreckungstitel beantragen, sich aber auch auf ein Verfahren einstellen, das ein oder zwei Jahre oder länger dauern kann. Wenn er wie üblich schneller vorgehen möchte, sollte er einen Antrag auf Erlass eines vorläufigen Beschlusses zusammen mit dem Exequaturantrag oder bald danach stellen - je früher, desto besser.
Die Vorläufige Anordnung
Wenn Ihr Mandant einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellt, ist der Richter, der dem Spruchkörper des Oberlandesgerichts vorsteht, der über den Antrag auf Erlass eines Vollstreckungstitels entscheidet, für die Entscheidung zuständig, ob die einstweilige Verfügung erlassen wird oder nicht. Es wird erwartet, dass der vorsitzende Richter in der Lage ist, innerhalb weniger Tage eine Entscheidung zu treffen, und diese Erwartung wird in der Praxis auch häufig erfüllt. Der Antragsgegner muss nicht gehört werden und wird in der Praxis auch nur selten gehört.
Es liegt im Ermessen des vorsitzenden Richters, ob er eine vorläufige Anordnung erlässt oder nicht. Der Antragsteller wird in der Regel nur dann einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen, wenn er einen besonderen Grund dafür hat, z. B. wenn er nachweisen kann, dass der Antragsgegner Vermögenswerte ins Ausland verschiebt.
Die Tatsache, dass die Vorläufige Anordnung gewährt werden kann und häufig auch gewährt wirdohne Gegenleistung verpflichtet den Antragsteller, in der Stellungnahme zur Begründung des Antrags alle relevanten Tatsachen anzugeben, unabhängig davon, ob sie vorteilhaft oder nachteilig sind. Stellt sich später heraus, dass der Antragsteller relevante Tatsachen ausgelassen hat, kann ihm vorgeworfen werden, die Vorläufige Anordnung durch Betrug erwirkt zu haben.
Wenn Ihr Mandant erwartet, dass der Antragsteller eine einstweilige Verfügung beantragen wird, kann er einen so genannten Schutzschriftsatz einreichen (Schutzschrift), um dem Gericht die Gründe mitzuteilen, die gegen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen könnten. Werden in der Schutzschrift (glaubhafte) Tatsachen genannt, die gegen den Erlass einer einstweiligen Verfügung sprechen, kann der Antrag abgelehnt werden.
Die Vorläufige Anordnung kann zwei Formen annehmen: Sie kann entweder die vorläufige Vollstreckung des Schiedsspruchs erlauben (z.B. das vorläufige Einfrieren von Vermögenswerten zur Befriedigung eines Zahlungsanspruchs) oder die Vollstreckung von vorläufigen Maßnahmen, die bereits im Schiedsspruch enthalten sein können, sofern diese Maßnahmen ebenfalls vorläufiger Natur sind. Daher kann ein weitsichtiger Kläger beim Schiedsgericht beantragen, bestimmte vorläufige Maßnahmen in den Schiedsspruch aufzunehmen; dies kann die Erlangung einer Vorläufigen Anordnung erleichtern.
In der Vorläufigen Anordnung wird in der Regel darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner berechtigt ist, Sicherheit zu leisten, um die Vollstreckung abzuwenden, und die Höhe dieser Sicherheit wird festgelegt.
Wenn der Antragsteller von der Vorläufigen Anordnung Gebrauch macht und diese später zurückgenommen oder das Exequatur verweigert wird, sollte der Antragsteller dem Antragsgegner gegenüber nicht schadenersatzpflichtig sein.
Die Vorläufige Anordnung ist kein Urteil. Daher kann der vorsitzende Richter die Vorläufige Anordnung auf Antrag einer der Parteien, des Beklagten oder des Klägers, überprüfen, aber die Vorläufige Anordnung kann nicht angefochten werden. Dies ist in der Praxis für den Antragsteller von Vorteil. Wenn er die Vorläufige Anordnung erwirkt, sollte der Antragsteller in der Lage sein, sie während der gesamten Dauer des Exequaturverfahrens zu nutzen. Wird der Antrag abgelehnt, kann der Antragsteller es erneut versuchen, sobald er zumindest einige neue Fakten vorlegen kann.
Für das Vorabentscheidungsverfahren werden weder von den Anwälten noch vom Gericht besondere Gebühren erhoben. Diese werden als in den Kosten des Exequaturverfahrens enthalten angesehen.