Die neue Wohngemeinnützigkeit
Die vergünstigte Überlassung von Wohnraum durch gemeinnützige Körperschaften an Bedürftige ist vermutlich fast genauso alt wie das Wohlfahrts- bzw. Stiftungswesen selbst, pars pro toto sei auf die Augsburger Fuggerei aus dem Jahr 1521 verwiesen. Die Gründe, warum gemeinnützige Körperschaften – oftmals Stiftungen – Wohnraum vergünstigt überlassen, sind dagegen vielfältig: Im Vordergrund dürfte oftmals stehen, hilfebedürftigen Menschen aufgrund deren wirtschaftlicher oder physischer bzw. psychischer Nachteile (Armut, Krankheit, Alter, Behinderungen) Wohnraum zu verschaffen. Zielsetzung kann allerdings auch sein, eine Ausbildung oder ein Studium bzw. die Ausübung wissenschaftlicher oder künstlerischer Tätigkeiten zu ermöglichen. Die vorgenannten (unentgeltlichen oder verbilligten) Überlassungen von Wohnungen werden teilweise mit weiteren Maßnahmen flankiert, bspw. bei Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. In jüngster Zeit kam auch vermehrt der Wunsch auf, Angehörige von sog. Care-Berufen (bspw. Pflegekräfte) sowie von Polizei und Feuerwehr auf diese Weise zu unterstützen bzw. ganz allgemein das Wohnen von „normalen“ Menschen in Zeiten hoher und immer weiter steigender Mieten zu ermöglichen. Vereinzelte Stiftungen riefen dazu auf, Wohnungen durch Schenkung oder Erbschaft zu übertragen, um langjährige Mieter vor „gierigen“ Erben zu schützen.
Einordnung als Zweckverwirklichung
Entgeltliche Vermietungen sind bei gemeinnützigen Körperschaften grundsätzlich Teil der von Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer befreiten Vermögensverwaltung. Gemeinnützigkeitsrechtlich sind diese Vermietungen als Art der Zweckverwirklichung dagegen nicht so einfach einzuordnen. Die Vermietung von Wohnungen gegen Entgelt stellt grundsätzlich („nur“) eine Tätigkeit der Vermögensverwaltung (Mittelbeschaffung) dar und damit noch keine Zweckverwirklichung. Ein „Impact Investing“ kannte das Gemeinnützigkeitsrecht bisher nicht. Der Bundesfinanzhof hat zwar bereits 1996 grundsätzlich positiv zu einer „Zweck-Vermögensverwaltung“ zugunsten hilfebedürftiger Personen geurteilt. Unklar blieb jedoch, wie das steuerliche Erfordernis des (jährlichen) Nachweises der Hilfebedürftigkeit der Mieter mit dem Mietrecht in Einklang gebracht werden kann. Diese Herausforderung besteht grundsätzlich auch bei anderen vergünstigten Vermietungen (bspw. zur Förderung von Ausbildung), da die Erfüllung der gemeinnützigkeitsrechtlichen Anforderungen jährlich nachzuweisen sind. In der Praxis scheint die Finanzverwaltung oftmals vergleichbare Zweckverfolgungen toleriert zu haben. Rechtssicherheit bezüglich der Nachweispflichten könnte jedoch nur – vor Aufnahme solcher Wohnraumüberlassungen – mittels eines Antrags auf verbindliche Auskunft geschaffen werden. Dieses Verfahren ist jedoch zeit- und kostenintensiv und birgt zudem die Gefahr einer negativen Auskunft in sich. Ohne positive verbindliche Auskunft tragen jedoch die gemeinnützigen Körperschaften und deren Gremienmitglieder die steuerlichen Risiken aus einer späteren negativen Beurteilung durch die Finanzverwaltung.
Regelung einer "Zweck-Vermögensverwaltung"
Die neue Wohngemeinnützigkeit wurde nunmehr als einziges Reformvorhaben der bisherigen Bundesregierung zur Gemeinnützigkeit mit dem Jahressteuergesetz 2024 (JStG 2024) umgesetzt. Diese Regelung soll neben dem sozialen Wohnungsbau und anderen Fördermaßnahmen für den privaten Wohnungsbau zusätzlich dauerhaft bezahlbaren Wohnraum schaffen. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um die Wiedereinführung der Steuerbefreiung für gemeinnützige Wohnungsunternehmen, welche durch das Steuerreformgesetz 1990 abgeschafft wurde. Vielmehr wurde die Wohngemeinnützigkeit mit Wirkung zum 01.01.2025 als zusätzlicher gemeinnütziger Zweck in § 52 Abs. 2 AO als Nummer 27 ergänzt und damit in die Gemeinnützigkeit „integriert“. Gemeinnützig ist damit auch („offiziell“) die „Förderung wohngemeinnütziger Zwecke“ durch die vergünstigte Wohnraumüberlassung an hilfebedürftige Personen i. S. d. § 53 AO. Die Wohngemeinnützigkeit regelt somit erstmals eine Art "Impact Investing" und hierdurch eine "Zweck-Vermögensverwaltung" („fünfte Sphäre“).
Die bestehenden wirtschaftlichen Bedürftigkeitsgrenzen wurden für die Förderung wohngemeinnütziger Zwecke zudem soweit angehoben, dass 60% (!) der Haushalte als Mieter begünstigt sein sollen. Die Hilfebedürftigkeit soll aus Vereinfachungsgründen auch nur zu Beginn des jeweiligen Mietverhältnisses nachzuweisen sein. Nach der Gesetzesbegründung muss die Miete hierfür dauerhaft unter der marktüblichen Miete liegen. Anders als im sozialen Wohnungsbau besteht keine zeitliche Befristung. Die Regelung kann somit dazu führen, dass der einstmals „arme Student“ auch als erfolgreicher Unternehmensberater weiterhin verbilligt wohnen darf, ohne dadurch die Gemeinnützigkeit des Vermieters zu gefährden.
Die Einführung der Wohngemeinnützigkeit als neuer gemeinnütziger Zweck kann bedeuten, dass bei bereits bestehenden gemeinnützigen Körperschaften vor der Aufnahme vergünstigter Vermietungen erst eine Satzungsänderung erforderlich ist. Eine solche Satzungsänderung war im abgelaufenen Jahr kaum mehr umsetzbar, so dass streng genommen die Anwendung der Neuregelung bei einer Satzungsänderung in diesem Jahr frühestens ab 2026 möglich wäre. Hintergrund ist die hohe Formstrenge des Gemeinnützigkeitsrechts, welche die „richtige“ Satzung zu Beginn eines steuerlichen Veranlagungszeitraums erfordert. Welche Hürden mit einer solchen Satzungsänderung verbunden sind, hängt von der Rechtsform ab. Am Einfachsten gelingt dies bei einer gGmbH, denn ein Verein benötigt hierfür die Zustimmung einer Mitgliederversammlung und eine Stiftung die Genehmigung der Stiftungsaufsicht. Bestehende gemeinnützige Körperschaften, die bereits vergünstigt Wohnungen überlassen, sollten dennoch baldmöglichst prüfen, ob dies mit ihrer Satzung und dem bisherigen bzw. geänderten Gemeinnützigkeitsrecht vereinbar ist oder eine Änderung der Satzung bzw. der Zweckverwirklichungsmaßnahmen geprüft werden sollte.
Prüfung der Auswirkungen
Stifter, die planen eine Stiftung mit Immobilien auszustatten, die auch zur vergünstigten bzw. fördernden Vermietung vorgesehen sind, sollten die möglichen Auswirkungen der Neuregelung auf ihr Stiftungskonzept prüfen bzw. berücksichtigen. Dies gilt ebenso für andere Initiatoren gemeinnütziger Körperschaften, bspw. eines Vereins, der sich der Wohnungsnot annehmen will. Bestehende Immobilienunternehmen – bspw. im Eigentum von Kommunen – können nunmehr prüfen, ob der Eintritt in die Gemeinnützigkeit und die damit einhergehenden Steuerbegünstigungen genutzt werden sollen. Neben der Ersparnis der laufenden Steuerbelastung könnten bspw. Wohnungen mit der Zusage von Spendenbescheinigungen von „sozialen“ Vermietern eingeworben werden. Für privatwirtschaftliche Vermieter dürfte aufgrund des Gewinnbezugsverbots ein Wechsel in die Gemeinnützigkeit nicht in Frage kommen. Unternehmen können die Überlegung anstellen, ob bestehende oder geplante Mitarbeiterwohnungen innerhalb einer gemeinnützigen Körperschaft geführt werden sollen. Dies könnte auch mit bereits bestehenden gemeinnützigen Körperschaften des Unternehmens oder seiner Gesellschafter verknüpft werden. Hierbei wäre jedoch zu beachten, dass die Voraussetzung einer Förderung der Allgemeinheit bei einer alleinigen Ausrichtung auf eigene Mitarbeiter scheitern könnte.
Ob die Förderung der Wohngemeinnützigkeit als neuer gemeinnütziger Zweck reine Symbolpolitik bleibt oder einen Push für den Wohnungsbau bringt, wird letztlich auch davon abhängen, wie die Finanzverwaltung sich zur Vielzahl von Rechtsfragen zu dieser neuen und fünften Sphäre gemeinnütziger Körperschaften positionieren wird. Eine baldige und umfangreiche Verwaltungsverlautbarung mit klaren Maßgaben sowie zu großzügigen Übergangsregelungen bereits "gelebter Praxis" würde der Wohngemeinnützigkeit sicher Schwung verleihen.