BMF ändert seine Auffassung zur Unternehmereigenschaft des Aufsichtsrats
Praxistipp zur Umsatzsteuer zu BMF-Schreiben vom 08.07.2021
Nachdem die Rechtsprechung die Großzahl von Aufsichtsratstätigkeiten dem Bereich der Umsatzsteuer entzogen hat, hat nunmehr auch die Finanzverwaltung ihre Auffassung revidiert. Der Beitrag setzt sich mit den Folgen für die Praxis auseinander.
Nichts ist in Stein gemeißelt. Bereits im Jahr 1972 entschied der BFH (Urt. v. 27.07.1972, Az.: V R 136/71), dass auch die Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft als Arbeitnehmervertreter gegen Zahlung einer Aufsichtsratsvergütung umsatzsteuerpflichtig sei. Diesem Verständnis hatte sich auch die Finanzverwaltung uneingeschränkt (zuletzt in Abschn. 2.2 Abs. 2 Satz 7 UStAE) angeschlossen. Es wurde selbst von kritischen Vertretern in der Literatur uneingeschränkt akzeptiert. Da für Zwecke der Umsatzsteuer unmaßgeblich, wurde insoweit auch nicht danach unterschieden, ob es sich um das Mitglied eines fakultativen oder obligatorischen Aufsichtsrats handelt, genauso wenig, ob die Überwachungstätigkeit gegenüber einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ausgeübt wird. Dieses Verständnis fand durch eine Entscheidung des EuGH vom 13.06.2019 (Az.: C-420/18) ein Ende. Darin entschied der EuGH im Ergebnis, dass ein Mitglied eines Aufsichtsrats dann unselbständig und damit nicht als Unternehmer tätig werde, wenn er eine feste Vergütung erhalte, die weder von der Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhänge. Diesen Ball musste der BFH aufnehmen und hatte daraufhin seine ständige Rechtsprechung revidiert und wie folgt entschieden: „Trägt das Mitglied eines Aufsichtsrats aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko, ist es entgegen bisheriger Rechtsprechung nicht als Unternehmer tätig.“ Im Nachgang kam es zu mehreren finanzgerichtlichen Entscheidungen, die allesamt die Unternehmereigenschaft des Aufsichtsratsmitgliedes verneint haben. Und am 08.07.2021 hat die Finanzverwaltung reagiert und dabei teilweise auch für wichtige Klarstellungen gesorgt. Ob sie mit ihrem Verständnis immer richtig liegt, mag ich bezweifeln. Allerdings war es für sie auch nicht leicht, die maßgeblichen Kriterien rechtssicher festzulegen, nachdem für den BFH keine Notwendigkeit bestand, in dem von ihm zu entscheidenden Streitfall weitergehende grundsätzliche Kriterien vorzugeben.
Das BMF-Schreiben:
Die Finanzverwaltung hebt ihre bisherige Regelung auf. Auf Basis des vom BFH für maßgeblich gehaltenen Tatbestandsmerkmals „Vergütungsrisiko“ regelt sie dieses in einem neuen Absatz (3a). Danach liegt eine der Selbständigkeit entgegenstehende Festvergütung insbesondere im Falle einer pauschalen Aufwandsentschädigung vor, die für die Dauer der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat gezahlt wird. Sitzungsgelder, die das Mitglied des Aufsichtsrats nur erhält, wenn es tatsächlich an der Sitzung teilnimmt, sowie nach dem tatsächlichen Aufwand bemessene Aufwandsentschädigungen sind hingegen keine Festvergütung und führen damit zur Selbständigkeit der Aufsichtsratstätigkeit. Besteht die Vergütung sowohl aus festen als auch variablen Bestandteilen, d. h. einem sog. „Mischentgelt“, ist das Aufsichtsratsmitglied grundsätzlich selbstständig tätig, wenn die variablen Bestandteile im Kalenderjahr mindestens 10 % der gesamten Vergütung, einschließlich erhaltener Aufwandsentschädigungen, betragen. Reisekostenerstattungen stellen danach keine Vergütungsbestandteile dar und sind demzufolge bei der Ermittlung der 10 % Grenze nicht zu berücksichtigen. Ich verstehe die Ausführungen des BMF dahin gehend, dass die Finanzverwaltung in einem solchen Fall sämtliche Vergütungsbestandteile, d. h. auch den bis zu 90 % lautenden Festvergütungsanteil der unternehmerischen Tätigkeit zuordnet.
Wie schon in der Vergangenheit sieht das Schreiben Erleichterungen für Beamte und andere Bedienstete von Gebietskörperschaften vor, die dazu verpflichtet sind, die Vergütung bis auf einen bestimmten Teil an ihren Dienstherrn abzuführen. Bei diesem Personenkreis beanstandet es die Finanzverwaltung nicht, wenn die Personen aufgrund ihrer ansonsten selbständigen Aufsichtsratstätigkeit als unselbständig behandelt werden. Warum diese Grundsätze nicht auf Arbeitnehmervertreter ausgedehnt wurden, bleibt einer Begründung schuldig.
Abgerundet wird das Schreiben mit einer Nichtbeanstandungsregel. Danach wird es nicht beanstandet, wenn die Beteiligten das bisherige Verständnis der Finanzverwaltung auf Leistungen anwendet, die bis einschließlich 31.12.2021 ausgeführt werden.
Aufgrund der einhergehenden Teilleistungsproblematik bei einem abweichendem Geschäftsjahr wäre es m. E. sinnvoll gewesen, wenn man in einem solchen Fall auf das Geschäftsjahresende abgestellt hätte, sofern dieses nach dem 31.12.2021 endet.
PSP-Praxistipp:
Mit dem Schreiben endet das faktische Wahlrecht der Beteiligten zum 31.12.2021. Es war wichtig, dass sich die Finanzverwaltung positioniert.
Die Beteiligten müssen nun auf Basis des neuen Verständnisses der Finanzverwaltung die bestehenden Regelungen prüfen, ob die Vergütungen der Umsatzsteuer unterliegen. Sollte dies nicht der Fall sein, sollten sich Aufsichtsratsmitglieder mit ihrem Berater abstimmen, ob hierdurch eine Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG ausgelöst wird. Auch müssen sämtliche vorsteuerbelastete Eingangsleistungen, insbesondere die Büroraummiete, auf den Prüfstand gestellt werden.
Gesellschaften, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, sollten sich mit ihren Aufsichtsratsmitgliedern zusammensetzen, um für eine möglichst beidseitig interessensgerechte Lösung zu sorgen. Hier kann es zu widerstreitenden Interessen kommen.
Gesellschaften, die hingegen zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, sollten dafür sorgen, dass die Regelungen eindeutig sind, um etwaige spätere Diskussionen mit den Finanzbehörden zu vermeiden. Diese können entweder mit dem eigenen oder mit dem für das Aufsichtsratsmitglied zuständigen Finanzamt entstehen.
Für mich wäre es überraschend, wenn die Thematik nicht auch zukünftig die Gerichte beschäftigen sollte. Nachdem das Aufsichtsratsmitglied verpflichtet ist, an den Sitzungen teilzunehmen, bezweifele ich, dass man bezüglich der Sitzungsgelder von einer variablen Vergütung ausgehen muss. Auch die fehlende Ausdehnung der Regelung für Beamte auf Arbeitnehmervertreter dürfte vor die Gerichte getragen werden.